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Dienstag, 7. Juni 2016

Ist ADHS eine Modeerkrankung?

Bereits bei den alten Griechen findet man Hinweise auf Kinder, die „in ihrem Temperament zu viel des Elements Feuer“ hatten, Diesen empfahl der griechische Arzt Gerlen, Opium zur Beruhigung anzuwenden. Aber auch bei Persönlichkeiten aus der Bibel finden sich Hinweise auf emotional impulsives Verhalten. Jesus nannte seinen Lieblingsjünger und dessen Bruder "Donnersöhne", auch das Verhalten von Petrus, der emotional impulsiv Jesus „in den Tod folgen“ will, sich der Tragweite seiner Aussage nicht bewusst ist, und sich schließlich selbst verleugnet, weist darauf hin.


1775 Der deutsche Arzt Melchior Weikard beschreibt in seinem Buch „Der philosophische Arzt“ die klassischen Symptome der Aufmerksamkeitsstörung (Mangel der Aufmerksamkeit, Attentio Volubilis) und widmet dieser ein ganzes Kapitel.

1798 beschreibt Sir Alexander Crichton „die Unfähigkeit sich konstant mit einem Objekt zu befassen“ in seinem Werk. Er vermutete eine „krankhafte Sensibilität der Nerven“. Diese sei vielleicht angeborenen oder "Begleiteffekt einer Krankheit". Er beobachtete, dass es Menschen mit einem Zustand der Unruhe gibt, die im Zimmer auf und ab gehen, Dinge hin und her schieben, aufgeregt sind, etc.. Mit seinen Beobachtungen der Unruhe und seinen Überlegungen, wie diese zu beeinflussen sei, war Crichton seiner Zeit voraus

1808 beschrieb Dr. Haslam, Leibarzt Kaiser Napoleon I. ein „moralisch krankes Kind, Sklave seiner Leidenschaften, Schrecken der Schule, Qual der Familie, Plage der Umgebung.“

1844 entstand in Frankfurt das Buch "Der Struwwelpeter" von dem damals praktischen Arzt und Geburtshelfer und späteren Nervenarzt Heinrich Hoffmann Dieser Frankfurter Arzt beschrieb aus eigener Erfahrung typische Erscheinungsbilder hyperkinetische Kinder: den Zappelphilipp, den fliegenden Robert, Hans guck in die Luft und den bösen Friedrich.

1845 vermutet der Berliner Psychiater Wilhelm Griesinger erstmals, dass das Gehirn als ein „psychisches Organ“ Funktionsstörungen haben könnte und dies als Ursache für „psychische Krankheiten“ in Frage komme. Er führte aus, dass Kinder, die „keinen Augenblick Ruhe halten . . . und gar keine Aufmerksamkeit zeigen“, eine „nervöse Konstitution“ haben und "unter einer gestörten Reaktion des Zentralorgans auf die einwirkenden Reize" leiden würden.

1859 schreibt der Breslauer Heinrich Neumann, ein Gegner der Gehirnpathologie von Wilhelm Griesinger, „ Solche Kinder haben etwas Ruheloses, sie sind in ewiger Bewegung, höchst flüchtig in ihren Neigungen, unstet in ihren Bewegungen, schwer zum Sitzen zu bringen, langsam in der Erlernung des Positiven, aber oft blendend durch rasche und dreiste Antworten.“ Eitle Mütter würden diesen Zustand als geistreich, besorgte Mütter als aufgeregt bezeichnen. Er führt diese Unruhe der Kinder auf eine vorschnelle Entwicklung zurück und bezeichnet sie als „Hypermetamorphose“


1867 rechnete der englische Kinderpsychiater Henry Maudsley die unruhigen Kinder zur Krankheitsgruppe des „affektiven oder moralischen Irreseins“, .

1869 brachte der amerikanische Neurologe George Miller Beard die Bezeichnung „Neurasthenie“ für „Zustände reizbarer Schwäche“ ins Spiel. Wegen der Zunahme von Hektik und Hast im Zuge der industriellen Entwicklung. Beard wollte damit eine „predominantly American societal illness“ beschreiben; sie sei häufiger als alle anderen Nervenkrankheiten in den USA und beruhe auf fünf bedrohlich gewordenen Außenfaktoren: Dampfkraft, Tagespresse, Telegraf, Wissenschaften und der „mental activity of women“ (geistigen Aktivitäten der Frauen). Später sprach er von einer spezifischen „American nervousness“; sein Begriff der Neurasthenie fand in der Folge weltweit Verbreitung.


1878 vermutete der deutsche Kinderpsychiater Hermann Emminghaus (1845–1904) „Vererbung und Degeneration“



1881 beschrieb Scherpf "das impulsive Irresein als häufigste kindliche Seelenstörung"

 

1890 entwickelte der Leipziger Psychologe Ludwig Strümpell im System einer „Pädagogischen Pathologie oder die Lehre von den Fehlern der Kinder“. Er beschrieb Unruhe und Unaufmerksamkeit als „konstitutionelle Charakterfehler“ und als "moral defect".

In etwa zur selben Zeit beschreibt der amerikanische Psychologe William James in seinem Werk „The principles of Psychology“ Menschen die besonders Probleme mit der Impulskontrolle hatten. Er erkannte bei Betroffenen, dass sie zu wenig über ihre Handlungen und den anschließend Konsequenzen nachdachten und Schwierigkeiten mit der Selbstreflexion hatten. Allerdings gelante James nicht nur zu der Ansicht, dass das beschriebene Verhalten nur negative Folgen für die Betroffenen hatte. Er war vielmehr davon überzeugt, dass viele Revolutionäre und bekannte Persönlichkeiten der Geschichte diesem Persönlichkeitstyp angehörten und erachtete darum die Impulsivität der Betroffenen als Fähigkeit zum schnellen Reagieren und Schlagfertigkeit.



1902 schilderte der Londoner Pädiater Georg Frederick Still detailliert die Symptome von ADHS anhand der Studien an 20 Kindern mit „Defects in Moral Control“. Diese Beschreibungen der Symptome waren den heutigen Diagnosekriterien sehr ähnlich. Zu ihnen gehörten extreme Unruhe, ständige Bewegung, mangelnde Fähigkeit konzentriert und ausdauernd bei einer Sache zu bleiben, Leidenschaftlichkeit und mangelnde Willenskontrolle. Diese Kinder würden trotz "intakten Intellekts" in der Schule versagen. Er beobachtete, dass mehr Jungen als Mädchen betroffen seien. Diese Kinder seien durch Bestrafung nicht zu kontrollieren, die Prognose einer Heilung sei schlecht. Vermutlich resultiere dieser "defect of moral control" sowohl aus Vererbung als auch aus neurologischen Ursachen, es sei also (auch) ein medizinisches Problem und diese Kinder seien nicht einfach nur „unmoralisch“, „dumm“ oder „unerzogen“.


1908 berichtet der Berliner Pädiater Adalbert Czerny in seinen, über Jahrzehnte hinweg immer wieder neuaufgelegten Vorlesungen, der „Arzt als Erzieher des Kindes“ darüber das Charakter von Erziehung und Gesundheitszustand bestimmt wird. Ein im engsten Sinne normales Kind sei erstens gut ernährt und verfüge über ein gut trainiertes Nervensystem. Als Zwischenstufen zwischen normalen und abnormen Kind beschreibt Czerny eine Gruppe von Kindern mit folgenden Merkmalen „Großer Bewegungsdrang, mangelnde Ausdauer im Spiel und bei jeder Beschäftigung, Unfolgsamkeit und mangelhafte Konzentrationsfähigkeit der Aufmerksamkeit beim Unterricht.“ Für ihn fallen diese Kinder in die Gruppe der „schwer erziehbaren Kinder“ und gehörten zur „neuropathischen Konstitution.
Aus der Psychiatrie kommt etwa zur gleichen Zeit der Begriff der „Psychopathie“; auch hier werden die unruhigen Kinder auf der Grenze zwischen dem Normalen und Krankhaften eingeordnet. Diskutiert wird eine ererbte oder intrauterin erworbene Veranlagung, die zu „angeborener Minderwertigkeit“ führe – auch dies ist ein Stigma, mit dem solche Kinder belastet wurden



1920er Jahre, als vermehrt Kinder an Enzephalitis erkrankten, wurden ADHS-Symptome dieser Erkrankung zugeordnet und es entstand der Begriff "Post-encephalitische Verhaltensstörung"

 

1926 beschreibt August Homburger, ein Wegbereiter der modernen Kinderpsychiatrie, Kinder mit erhöhter Erregbarkeit, starker Ablenkbarkeit, ruhelosem Abwechslungsbedürfnis und eine deutlich verminderte Konzentrationsfähigkeit. Da in den konkreten Einzelfällen Reizüberflutung und falsche Erziehungsmethoden die Realität des Geschehens bestimmen, müsse der Arzt vor allem „ein erziehender Berater der Eltern sein“. Ähnlich sehen dies zur gleichen Zeit auch Kinderärzte, wie der Karlsruher Pädiater Franz Lust, der die Behandlung solcher Kinder in jedem Lebensalter auch für den Arzt zu einer eher pädagogischen Aufgabe macht.


1932 veröffentlichten Kramer und Pollnow in der „Monatsschrift für Psychiatrie und Neurologie“ (Bd. 82 S. 1-40) einen umfangreichen Artikel „Über eine hyperkinetische Erkrankung im Kindesalter“. Bereits zwei Jahre zuvor hatten die Autoren im „Zentralblatt für die gesamte Neurologie und Psychiatrie“ (Bd. 57, S.844–845) erstmals über „Hyperkinetische Zustandsbilder im Kindesalter“ berichtet. Der Artikel machte die Namen seiner Autoren für Jahrzehnte zum Inbegriff der Hyperkinese. Das in Deutschland für mehrere Dekaden als „Kramer-Pollnow-Syndrom“ bekannte Störungsbild beschrieben die Ärzte mit zahlreichen Beispielen und großer Genauigkeit der Beobachtung. Vor diesem Hintergrund wiesen die Autoren bereits vor über 80 Jahren auf die sozialen Folgen der Symptomatik hin. Hyperaktivität, Unaufmerksamkeit und Impulsivität waren in den Augen von Kramer und Pollnow mehr als nur ein individueller Ausdruck von Temperament oder kindlicher Befindlichkeit – sie waren Symptome einer basalen Einschränkung der Anpassungsfähigkeit an die Regeln des Zusammenlebens, sie waren eine systematische Bedingung des Scheiterns des gestörten Einzelnen in der Gemeinschaft.

1933 werden aufgrund der Diskriminierung, Deportation und Emigration führender Kliniker und Wissenschaftler in Österreich und Deutschland differenzierte Diskussionen unterbrochen. Erheblich anders ausgerichtete Fachvertreter nehmen hier jetzt das Problem in die Hand.


1937 berichtete Dr Charles Bradley über die hilfreiche Wirkung der Stimulanzien auf verhaltensauffällige Kinder. In den Jahren nach der ersten Beschreibung Bradleys befassten sich anfangs Kinderärzte und Kinderpsychiater, später Kinderpsychologen mit diesem Krankheitsbild. Es fand erst in den USA, später über Neuseeland, Holland, England und Skandinavien Beachtung. In Deutschland erschienen die ersten Berichte Mitte der 60er Jahre. Dann allerdings zahlreiche Publikationen; allein im deutschsprachigem Raum 1965 bis 1985 über 250 Arbeiten, die sich ausschließlich mit diesem Thema beschäftigen von medizinischer, psychologischer und pädagogischer Seite.

 

1939 erklärt der Wiener Ordinarius für Kinderheilkunde Franz Hamburger die Unruhe der Kinder schlicht zu den neurotischen Unarten, gegen die man „einschreiten“ müsse; Therapieziel sei die Erlangung eines „freudigen Gehorsams“ beim Kind. Man könne den Eltern darum nicht genug empfehlen, „ihre Kinder vom elften Jahre an in die Hitler-Jugend zu geben. Die meisten Kinder verlieren ihre Neurosen, wenn sie den Betrieb in der HJ mitmachen.“


1954 kam Ritalin zum ersten Mal in Deutschland auf den Markt.


1957 vermutete Maurice Laufer die Ursache in einem Defizit des Zentralnervensystems. Seiner Theorie zufolge filtern die thalamitischen Gehirnregionen zu wenig Stimulation heraus, so dass das Gehirn von Eindrücken überschwemmt wird. Betroffenen Kindern wurden spezielle, reiz- und ablenkungsarme Klassenzimmer zur Verfügung gestellt.

1960-1970iger Jahre wurde überwiegend angenommen, dass es sich bei ADHS um eine "leichte frühkindliche Hirnschädigung" handle, es entstanden Begriffe wie "Minimal cerebral Dysfunction" (MCD) Psychoorganisches Syndrom (POS) vor allem im Schweizer Raum, in Deutschland wurde der Begriff MCD (Minimale cerebrale Dysfunktion) übernommen.

Diese Bezeichnung erwies sich als problematisch, da erkannt wurde, dass viele Kinder ohne Anzeichen von Hirnschädigungen auch Symptome von ADHS zeigten, der Begriff "Brain Damage" schien also nicht angemessen zu sein. In den 1970er Jahren wurden gleichzeitig mehrere Symptome erkannt, die zusammen mit Hyperaktivität auftraten. Dazu gehörten Impulsivität, Mangel an Konzentration, Tagträumen und die fehlende Fokussierung auf eine Aufgabe


1968 wurde die "Hyperkinetische Reaktion der Kindheit" in den DSM-II (1968) aufgenommen, obwohl sich die Fachleute dessen bewusst waren, dass viele der diagnostizierten Kinder Aufmerksamkeitsstörungen ohne irgendwelche Anzeichen von Hyperaktivität hatten


1978 wird in der ICD-9 das hyperkinetische Syndrom des Kindesalters zum ersten Mal als eigenständiges Krankheitsbild benannt.

1980 führte das DSM-III den Begriff "ADD" (Attention-Deficit Disorder) mit oder ohne Hyperaktivität ein. Die Terminologie ADD wurde mit der Revision im Jahr 1987 auf ADHS im DSM-III-R geändert. Erstmalig wird auch das Persistieren der Symptome bis ins Erwachsenenalter als „ADD Residual Type“ erfasst


1984 beschrieb Viriginia Douglas ein Problem der Selbstregulation mit zu wenig Daueraufmerksamkeit und Anstrengungsbereitschaft und schuf den Namen "Attention Deficit Disorder", dieser wurde im Jahre 1980 von der American Psychiatric Association festgelegt und


1985 veröffentlichte der Kinderarzt Dr. Walter Eichlseder in München das erste deutschsprachige Buch zu ADHS: „Unkonzentriert? Hilfen für Hyperaktive Kinder und Eltern“.



1987 wird ADD in "Attention Deficit Disorder Hyperactive" erweitert. Die American Psychiatric Association postulierte, dass ADHS eine medizinische Diagnose sei und kein rein psychisches Problem, dass aber ADHS zu Verhaltensproblemen führen könne.



1992 kann die Diagnose hyperkinetisches Syndrom im ICD-10 auch im Erwachsenenalter gestellt werden. „Die Kriterien sind dieselben, jedoch müssen Aufmerksamkeit und Aktivität anhand entwicklungsmäßig angemessener Normen beurteilt werden.“


1994 wurde im DSM-IV erstmals ADHS-Subtypen vorgestellt. In Deutschland sind weiterhin die wenig realitätsnahen Kriterien des ICD-X zur Diagnose von ADHS gültig.

1996 nannte R. Barkley ADHS eine: „Entwicklungsstörung der Selbstkontrolle“.


1997/99 wurde im Auftrag des Kultusministeriums München ein Film und eine Handreichung für Lehrer entwickelt: „Aufmerksamkeitsgestörte, hyperaktive Kinder im Unterricht“.

1998 veröffentlichten Droll, Krause/Krause und Trott die erste Leitlinie für Erwachsene: „ADHD im Erwachsenenalter“


2002 wurde das „Eckpunktepapier des BMGS“ erarbeitet und


2003 wurde ADHS bei Erwachsenen in Deutschland offiziell anerkannt.


2005 wurde die Stellungnahme des wissenschaftlichen Beirates der Bundesärztekammer zu ADHS veröffentlicht.


2011 erhielt Medikinet adult, nachdem Metylphenidat lange Zeit off-label verordnet wurde, die Zulassung in Deutschland zur Behandlung Erwachsener Menschen mit ADHS. Erst in den 1990er Jahren war zunehmend ein Bewusstsein dafür gewachsen, dass ADHS keine Störung des Kindesalters ist, sondern ein Leben lang fortbesteht, auch wenn die "Hyperaktivität", also die deutliche äußere motorische Unruhe, in der Pubertät zurück ginge. Im Kern bleibt die ADHS-typische Problematik, wie Dr. Russel Barkley sie beschreibt, jedoch bestehen. So hat sich Methylphenidat auch im Erwachsenenalter als Medikament der Wahl etabliert. Die Diagnostik bei Erwachsenen bewies sich aufgrund hinzugekommener komorbiden Störungen häufig als schwierig, da die eigentliche Symptomatik des ADHS hierdurch maskiert werden.


2013 Im DSM-V wird ADHS als ein "Muster von Verhaltensstörungen und kognitiven Funktionsstörungen" beschrieben, außerdem werden die verschiedenen Erscheinungsformen von ADHS sowie das Fortbestehen der Symptomatik im Erwachsenenalter mit in die Diagnose einbezogen.

Mittlerweile ist die Anzahl der Veröffentlichungen, aus allen Teilen der Welt, so groß, dass eine Literaturrecherche (nur bei namhaften wissenschaftlichen Blättern) jeden Monat ca. 200-300 Arbeiten erfasst.
Unter ganz verschiedenen Namen wurden bisher von verschiedenen Autoren Kinder und Jugendliche mit sehr ähnlichen Problemen beschrieben. Abzugrenzende Begriffe:

Kramer-Pollnow-Syndrom: in Deutschland über mehrere Dekaden bekanntes Störungsbild.

MCD: Minimale cerebrale Dysfunktion war lange Zeit eine typische Bezeichnung

MBD: Minimal Brain Dysfunction/Damage

POS: Psycho - organisches Syndrom in der Schweiz üblich

HKS: Hyperkinetisches Syndrom in ICD 9

ADDS: Attention Defizit Disorder Syndrom mit / ohne Hyperaktivität und Sozialstörungen war in den USA lange Zeit üblich


Benutzt wurden von verschiedenen Fach- und Berufsgruppen:

Hirnfunktionsstörung, Partielle Hirnreifungsstörung, Hirnorganisches Psychosyndrom, Teilleistungsstörung, Minimale cerebrale Bewegungsstörung,Hyperaktive Kinder, Ungeschickte Kinder, Aufmerksamkeitsgestörte Kinder, Kinder mit besonderem Förderbedarf, Schwerkraftverunsicherte Kinder, schwererziehbare Kinder, Unerzogene Kinder, sozialgeschädigte Kinder, ...
Lediglich Teilaspekte der Störung umfassen diese Namen und sind nicht identisch, aber in großen Bereichen überschneiden sie sich. Heute gilt ADHS (Aufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivitäts-Störung) in Deutschland und ADHD (Attention-Defizit-Hyperactivity-Disorder) im englischsprachigen Raum als die korrekte Bezeichnung (DSM IV/V)

Gute 180 Jahre vor Einführung von Ritalin auf dem deutschen Markt wird über die typischen Symptome der ADHS berichtet, referiert, geforscht, dieses ganz besonders in Deutschland. Und wie oben bereits angemerkt, wussten schon die Mediziner der alten Griechen und auch der Römer darüber etwas zu erzählen und versuchten bereits zu helfen und behandeln. Mit Sicherheit sind diese Forschungen und Berichte über den Vorwurf erhaben „Handlanger der Pharmakonzerne“ zu sein.

Mittlerweile schreiben wir das Jahr 2016, seit WeikardsBeschreibungen im Jahre 1775 sind genau 241 Jahre vergangen. Bei ADHS handelt es sich, unter Berücksichtigung der historischen Fakten, also mit Sicherheit nicht um eine Modeerscheinung unserer Zeit, sondern um die Erkenntnis eines Problems, das erst sehr spät in unser gesellschaftliches Bewusstsein vorgedrungen ist.


In früheren Zeiten, stand als erstes im Leben eines Kindes das Überleben selbst im Vordergrund, aus diesem Grund waren derartige Probleme also erst einmal nicht so wichtig und absolut nachrangig. Entweder fielen die Schwierigkeiten z.B. in großen Familien nicht so sehr ins Gewicht oder die Kinder galten eben als schwarze Schafe der Familie, ohne dass man die Ursachen ihres Versagens hinterfragt hätte. Nicht außer acht gelassen werden darf, die Veränderung der gesellschaftlichen Struktur, die Errungenschaften der Wissenschaft und natürlich: Veränderungen im Gesundheitssystems, welches in Deutschland Ende der 1960iger Jahre Psychotherapie nicht als Kassenleistung vorsah und von den betroffenen Personen allein getragen werden mussten. Hinzu kommt das hierzulande körperliche Züchtigung und seelische Grausamkeiten über Jahrzehnte hinweg als natürliches Erziehungsmittel galten. „Wer sein Kind liebt, züchtigt ist“ war eine Maxime die auch in den späten 1990iger Jahren nach wie vor Gültigkeit in Deutschland besaß und auch heute noch in weiten Teilen der Bevölkerung besitzt. Des weiteren hat sich die gesellschaftliche Struktur in den vergangenen 30 Jahren erheblich verändert, sie ist durchlässiger und homogener geworden. Die Herkunft eines Menschen entscheidet nicht mehr zwingend darüber, was eines Tages aus ihm wird. In der heutigen Zeit aber, eine Zeit der gezielten Förderung der wenigen Kinder, einer Geburtenrate von 1,4 Kinder pro Familie und natürlich der bewussten Elternschaft, ist diese Störung aber tatsächlich erst richtig ins Bewusstsein der Gesellschaft gerückt worden.Wenn man sich als Eltern oder Lehrer in hohem Maß um die optimale Entwicklung eines Kindes bemüht, ist es verständlicherweise recht frustrierend, wenn das Kind den in ihn gesetzten Erwartungen in seinen Möglichkeiten und seinem eigentlichem geistigen Potenzial nicht gerecht wird.

Es erscheinen immer wieder Artikel die alle wissenschaftlichen Erkenntnisse, Untersuchungen und die lange Historie ignorieren wie auch leugnen. Sehr oft wird mit Propagandaparolen aufgetrumpft, hier ist dann die Rede von: „Pillen statt Erziehung“, eine „Pille gegen eine erfundene Krankheit“, es wären„90 % der ADHS-Diagnosen falsch“, ADHS ist eine „fabrizierte Erkrankung“ Metylphenidat wäre ein „Goldesel für die Pharmaindustrie“ und „macht psychisch abhängig“, weil „wenn Paul die Tablette vergisst, kommt er von der dritten Stunde an nicht mehr mit.“ Wahrscheinlich macht Methylphendat genauso wie Insulin psychisch abhängig, denn ohne sein Insulin trübt der Diabetiker zunehmend ein, er kommt dann auch nicht mehr mit. Man schreckt auch nicht davor zurück tote Menschen wie Leon Eisenberg für diese Kampagnen zu mißbrauchen, dabei dann geschichtliche Tatsachen und Fakten kurzerhand zu verdrehen. Leon Eisenberg ist weder der Erfinder noch der Vater von ADHS, er setzte sich lediglich wie viele andere Menschen jener Zeit dafür ein, dass dieses Störungsbild im DSM aufgenommen und damit offizielle Krankheit anerkannt wird. Nur offizielle Krankheiten dürfen und werden therapiert, es verpflichtet zudem Krankenversicherungen diese Kosten zu übernehmen. Bei nicht anerkannten Störungen und Krankheiten findet keinerlei Kostenübernahme seitens der Versicherer statt und der Betroffene muss selbst für diese aufkommen. Was eine erhebliche Diskriminierung und Benachteiligung der "weniger verdienenden" Bevölkerung darstellt. Nur wenige könnten sich diese Kosten leisten und der Großteil würde darauf verzichten. Dieses hätte verheerende gesellschaftliche Folgen. Er hat des weiteren nicht auf dem Totenbett gestanden, dass es ADHS nicht geben würde, sondern das es sich dabei um eine unglückliche Bezeichnung handelnt würde: ADHS sei kein Defizit der Aufmerksamkeit sondern ein zu viel der Aufmerksamkeit. Auch nannte er es lediglich „ein Paradebeispiel für fabrizierte Krankheiten“ und meinte damit jene Diagnosen die zu schnell getroffen würden, ohne dass das soziale Umfeld des Kindes einzubeziehen. Soziale Elemente, Ernährung, mögliche traumatische Erlebnisse, Erziehungsstil und Lebensgestaltung der Eltern würden dabei keine Beachtung finden und oft nicht berücksichtigt. Logischerweise stellt Methylphenidat keine Hilfe für sozialgeschädigte oder traumatisierte Kinder oder gar kulturell bedingten Auffälligkeiten dar.

Viele diese Kampagnen sind ein herber Schlag ins Gesicht der Eltern, die dringend Hilfe für ihre von dieser Störung und darunter leidenden Kinder brauchen und suchen. Aber ganz besonders für die Kinder selbst, die aufgrund der Störung unter sozialer Ausgrenzung, täglicher Abwertungserfahrungen durch Mitmenschen, als dumm und asozial abgestempelt werden, ihres Lebens überdrüssig werden, ...etc. etc.pp. Gleichzeitig ist es auch für diejenigen, die sich um Hilfen und Perspektiven bemühen und einsetzen.

Es handelt sich bei diesen Artikeln und Kampagnen zudem selten um eine konstruktive Kritik, denn außer Verunglimpfungen von Eltern, Kindern und Erziehern bieten sie keinerlei Lösungen an oder tragen auch nur im Ansatz zu einer Lösung, der vielfältigen Schwierigkeiten und Probleme unter die diese Kinder zu leiden haben, bei. Außer acht gelassen werden bei diesen Diskussionen zudem der oftmals jahrelange große Leidensdruck der Kinder, welcher durch die Gesellschaft, einem starren und einseitigem Schulsystem, erhöhtem Leistungsdruck und ein erhöhtes Ruhebedürfnis erwachsener Menschen resultieren.
Der Griff zu Methylphenidat stellt in den meisten Fällen, immer noch das Mittel der letzten Wahl bzw. letzten Instanz dar. Es kommt erst dann zum Einsatz, wenn alle anderen Möglichkeiten wie Ergotherapie, Verhaltenstherapie, Ernährungsumstellung, Umstrukturierung des Alltags, etc. etc.pp ausgeschöpft und keinerlei Wirkung oder Verbesserung zeigen. Verantwortungsvolle Erziehungsberechtigte und gewissenhafte Fachärzte scheuen  überwiegend den sofortigen Griff nach Methylphenidat. Zudem erhält nicht jedes Kind mit der Diagnose ADS/ADHS automatisch den Wirkstoff Methylphenidat.

Des weiteren handelt sich bei den Präperaten mit diesem Wirkstoff auch nicht um eine sog. „Intelligenzhebepille“. Entweder ist Intelligenz vorhanden oder sie ist es nicht, eine Tablette wie Ritalin, Medikinet, Concerta, um nur drei der Präperate zu nennen, ändert daran auch nichts. Das einzige was sie bewirkt ist lediglich die Tatsache, dass die Intelligenz in vollem Umfang wie sie vorhanden ist genutzt werden kann. Es ist auch keine "Abschaltpille", "Liebmachpille" "Ruhigstellpille" oder oder oder....die Begrifflichkeiten der ADHS-Verleugner sind mir leider nicht alle zur Gänze geläufig.

Man kann lediglich sagen:
In einem Berg in dem kein Gold ist, findet auch ein passionierter Goldgräber, selbst mit den tollsten und modernsten Gerätschaften und egal wie tief er auch bohren mag, keines. In Menschen mit ADS/ADHS liegen aber zahlreiche verborgene Schätze und es ist in ihnen oftmals erheblich mehr pures Gold zu finden, als in nicht davon betroffenen Menschen. Es wäre also eine wahrhafte Schande und Sünde sie nicht zu Tage zu fördern und weiterhin im Verborgenen verkümmern zu lassen. Jeder hat ein natürliches Recht darauf Hilfe zu erhalten aber auch glänzen und strahlen zu dürfen, egal in welchem Bereich auch immer. Einem Menschen mit amputierten Bein würde mit Sicherheit auch niemand seine Prothese wegnehmen oder einem Diabetiker sein Insulin oder einem Herzkranken sein Herzmittel.
 
 

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