Natürlich erinnere ich mich: Es war Fototermin im Kindergarten. Freunde von uns hatten ihren Nachmittagstermin so gelegt wie wir - wir Mütter fuhren gemeinsam hin - unsere Männer kochten derweil Kaffee und schalteten dabei den Fernseher ein. Als wir nach dem Termin aus dem Kiga kamen und das Auto anschalteten war es das erste was wir hörten: Die Unterbrechung des Programms weil die Eilmeldung gesendet wurde. Keine 10 minuten erfolgte die nächste und berichtete vom nächsten Flugzeug. Wir fuhren noch beim Bäcker vorbei und besorgten Kuchen wie abgemacht. Butterkuchen, jenen den wir auch Freud und Leid Kuchen nennen, weil er traditionell auf Trauerfeiern nach Beerdigungen aber auch an Polterabenden vor Hochzeiten bzw. vor Silber- und Goldhochzeiten oder beim Richtfest gereicht wird.
Unsere Männer empfingen uns dann zu Hause bereits : "Amerika ist angegriffen worden!" Atemlos schauten und lauschten wir....
Der Erntedankgottesdienst des Kindergartens fand ganz unter diesen Ereignissen statt....es war der Wunsch der Erzieherinnen.... denn alle Kinder berichteten davon oder spielten es mit Bausteinen nach. Viele hatten seitdem auch Angst wenn sie ein Flugzeug sahen... .
Das sorgte für heftige Empörungder der Eltern....sie hielten es nicht für ein geeignetes Thema die Kinder mit solch einer brutalen Wirklichkeit zu konfrontieren. Am meisten empörten sich jene Eltern die selbst nicht anwesend gewesen waren oder deren Kinder überwiegend davon sprachrn oder es nachspielten....
die Empörung und Aufregung waren jedoch unberechtigt. Man hatte im Gottesdienst versucht die Angst zu lindern.
Der Pastor erzählte auf wundersam einfühlender Weise, dass es vollkommen normal sei und auch er als Erwachsener oft Angst hätte und sich dazu auch oft schon die Bettdecke über den Kopf gezogen hätte. Wunderschön erklärte er den Kindern, dass es half darüber zu sprechen, dass sie sich zu jeder Zeit mit ihren Problemen, Sorgen und Ängsten an Gott wenden und ihn um Hilfe bitten könnten. Aber auch, dass sie sich nicht zu fürchten bräuchten, da sie als Kinder unter dem ganz besonderem Schutz Gottes stehen und er ihnen stets zur Hilfe eilen würde.
Der angedachte Ausflug zum 120km entfernten Flughafen in Bremen der Vorschulkinder entfiel im April darum.
Es war aber auch der Punkt an dem Amerika begann seinen Glanz und sein Ansehen un der Welt zu verlieren. Starker Antiamerikanismus in der Gesellschaft zu keimen begann...man nur wenig später vom "alten Europa" sprach und Deutschland, Russland und Frankreich der Achse des Bösen zugerechnet wurde. Das Verhältnis zwischen Deutschland und Amerika sich abkühlte, Muslime und Ausländer im allgemeinen nicht nur verstärkt argwöhnisch beäugt wurden, sondern vielfach auch ausgegrenzt und vermehrt beobachtet wurden.
Freunde wurden zu Feinde, Verbündete zu Gegner.
Mit dem 11. September kam die Angst in die Welt zurück...und aus ihm entstanden erneut Hass und Antipathien. Die Rassisten, Rechtspopulisten und Nationalsozialisten weltweit aber auch die selbsternannten Reichsbürger die in der alten Zeit verharrten, konnten sich endlich wieder frei zu erkennen geben. Sie, wie auch ihre oft kruden und obskuren Theorien als auch Ideologien, bahnten sich ihren Weg nach oben und fanden vermehrt Anerkennung und Zustimmung. Der Antisemitismus entflammte erneut, wenn er sich auch jetzt in Gestalt und im Namen des Antizionismus salonfähig für jedermann gemacht wurde. Auf diese Art verbrüderte man Atheisten, Muslime und Christen miteinander gegen die Juden. Auf anderer Seite sprach man dann von der Islamisierung des Abendlandes wozu sich wiederum Atheisten, Christen und Juden gegrn Muslime verbrüderten. An anderer Stelle erstarkte der Widerstand der Atheisten, Muslime und Juden gegen die vermeintlich Christianisierung der Welt.
Die verrücktesten Verschwörungstheorien waren seitdem wieder im Trend, die harmloseste ist unter ihnen ist dabei wohl die Bielefeld-Verschwörung und natürlich die; dass Reptilien wie auch Katzen die Weltherrschaft an sich zu reißen begannen. Die Menschen begannen sie unüberprüft zu glauben und als Wahrheit anzuerkennen.
Die absonderlichsten Gerüchte und Verleumdungen kamen auf, viele von ihnen hatten die Nazis schon benutzt oder im Stürmer über diese angeblichen Greueltaten berichtet. Religionen wurden weltweit wieder wie einst gegeneinander aufgehetzt. Dieses auf beiden Seiten gleichermaßen. Das gleiche galt für Nationen und in den Nationen die jeweiligen Bevölkerungsgruppen. Jeder zeigte mit dem Finger auf den anderen, doch niemand war sich anscheinend seines Tuns bewußt. Das Motto schien seit dem zu lauten "Jeder gegen jeden und Gott gegen alle"
Mit dem 11. September begann auch das Vertrauen zueinander, ineinander und in das Gute in der Welt zu verschwinden. Freunde beäugten sich mißtrauisch, der stets abgelehnte Überwachungsstaat wurde wieder hoffähig gemacht. Parteien forderten immer häufiger die Überwachung der Bevölkerung, Datenschützer rief es zu Protesten auf, nach 15 Jahren verschand der Widerstand zusehends und große Teile der Bevölkerung befürworten die Videoüberwachung in der Öffentlichkeit und täglich mehr.
Aber auch die Überwachung von anderen Staaten und das ausspionieren der gleichen scheint heute normal zu sein. Es geht vordergründig darum, mögliche Gefahren und Risiken von vornherein auszuschalten. Die soziale Kontrolle der Bürger untereinander begann zu sprießen und Menschen die vormals als bösartige Lästerer und Denunzianten abgestraft und ausgegrenzt wurden, werden heute hofiert. Stets aber aus der puren Angst des Einzelnen heraus, der Angst selbst zum Opfer der gleichen zu werden oder durch Unwissenheit am Ende in Gefahr zu sein.
Seit dem 11. September sorgten herrenlose Koffer auf Bahnhöfen und öffentlichen Plätzen für Bestürzung und lösten nicht selten einen Großeinsatz der Polizei aus. An jeder Ecke werden seit dem Terroristen vermutet und nicht wenige unbescholtene Bürger gerieten weltweit seither unter Verdacht einer terroristischen Organisation oder Gruppierung anzugehören. Aber auch ganze Länder wurden unter diesem Verdacht überfallen und besetzt, wie auch Regierungen gestürzt. Aus diesem heraus bildeten sich dann neue Krisenherde und Menschen weltweit begannen sich gegen die Unterdrückung zu wehren. Hassprediger erschienen weltweit vermehrt auf den Bildflächen, Menschen rebellierten, taten sich zusammen um sich zu wehren, egal in welcher Nation. Der Fundamentalismus und Fanatismus fanden in weltweit allen Religionen und Politik wieder ihren festen Platz. Man begann wieder in gut und böse einzuteilen, in der Überzeugung selbst dem Guten anzugehören und im Besitz der einzigen Wahrheit zu sein.
Der 11. September ist für mich der Tag an dem die Welt vollkommen außer Kontrolle geriet, an dem Angst wieder einmal zu regieren begann, an dem die Kontrolle begann, an dem aus Menschen wieder Tiere wurden, an dem die bösen alten Geister wieder erwachten und erstarkten, an dem Wut und Hass begannen die Liebe zu verdrängen, an dem die Freiheit zu schwinden begann, an dem die Welt kleiner wurde, an dem Nationalsozialismus und Rassismus wieder Anklang fanden, an dem Kriege erneut aufbrannten, an dem die Herzen verschlossen wurden, an dem sich Deutschland in Besorgtbürger und Gutmenschen zu spalten begann, an dem das Mißtrauen zurück kam, an dem man aus lauter Angst vor dem Tod begann auf Zehenspitzen durchs Leben zu gehen.
Er ist ....der Tag an dem aus lauter Angst die Freiheit nach und nach für die Sicherheit aufgegeben wurde.
Der 11. September 2001 betraf und veränderte nicht nur Amerika allein, sondern er veränderte und durchdrang die gesamte Welt bis in die kleinsten Winkel und das Leben jedes einzelnen Lebewesens auf Erden.
Es ist an der Zeit den 11. September hinter sich zu lassen und von Neuem dort zu beginnen, wo wir am 10. September 2001 aufgehört haben.
Es ist an der Zeit wieder Hoffnung und Zuversicht zu schöpfen, uns wieder zu vertrauen, die damals erschaffenen Feindbilder in unseren Köpfen zu löschen, an das Gute in allem zu glauben, einander wieder zu lieben lernen und zu verzeihen.
Aber auch erneut die tatsächlichen Grundwerte der Menschlichkeit, unserer jeweiligen Gesellschaft, des jeweiligen Glaubens erkennen und wieder zu leben beginnen. Wir müssen lernen uns wieder auf diese Zeit, vor dem 11. September 2001, zu besinnen.
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