Share/Bookmark

Translate

Dienstag, 28. Juni 2016

Haben wir eine Wahl?!


Vor langer, langer, seeeeehr langer Zeit, also es war kurz nachdem die Dinosaurier ausgestorben waren, sind wir ja mit idealistischen Grundsätzen angetreten. Wir behandeln unsere Kinder stets freundlich und liebevoll, mit sanfter Stimme erklären wir ihnen unsere immer und stets äußerst sinnvollen Familien-Regeln, die wir immer und jederzeit konsequent beachten (denn auch wir haben gelesen, und Konsequenz ist in der Erziehung das A und O!). Und schon läuft der Film! Das wäre doch gelacht!
Jeder, der Kinder hat, weiß:
Nun ja. Netter Versuch....nächster Versuch.

Was davon am Ende übrig bleibt: Ja, man muss konsequent sein. Da sind sich alle einig – Eltern, ErzieherInnen, LehrerInnen etc. Schließlich sind wir alle gereifte Erwachsene, die aufgrund ihrer Lebensweisheit ihre Kinder sanft, aber bestimmt in die richtige Richtung lenken. Und es klingt doch echt gut, oder nicht?
Aber nun sind wir einmal ein bisschen ehrlich. „Konsequent sein“ bedeutet in den Augen der Kinder nichts anderes als: Sie haben durch schlimme Erfahrungen GELERNT, dass Mama, wenn sie wieder mal austickert, ein absolut ultramega hinterhältiger und gemeiner Oberfiesling sein kann – STO-OOOO-PP nochmal - nicht sein kann sondern sein WIRD. Der seine unausgegorenen und völlig krausen Ziele wie „wir schreiben unsere Hefteinträge in einer Form, dass es NICHT aussieht, als sei ein bizarres Insekt durch den Ur-Schlamm gerobbt“ oder „Wer im Supermarkt mit Äpfel herum schmeißt, kriegt Probleme, und zwar mit mir“, mit allerzähester Bulldoggen-Zielstrebigkeit verfolgt und sich auch nicht von dem 789. Versuch, dem zu entkommen, davon abbringen lässt! Ich würde mal sagen, so wird man, der man sich selbst  eigentlich als freundlichen Zeitgenossen auffasst, nicht wirklich gern gesehen, aber das ist halt so und bringt der Job eben mit sich. Und dringend notwendig, sonst ist man dem absoluten Wahnsinn geweiht. Damit musste eben zu leben lernen.

Allerdings muss man auch warnen: Die Drohungen, die man so ausstößt, sollte man auch durchziehen können, sonst nimmt einem keiner den bösen Polizisten, den man darbietet, mehr ab und man schießt sich am Ende nur selbst ins Knie. Womit wir auch schon bei dem Stichwort „böse Falle Selbstbestrafung“ wären:
In einem undisziplinierten Moment drohte ich meinem Kind, ihm den Urlaub bei Oma und Opa zu streichen, wenn er… ich weiß es nicht mehr was. Aber ich erinnere mich sehr wohl, wie ich Blut und Wasser geschwitzt habe: „Was ist wenn? Wie konnte ich nur??? Ich werde Omas und Opas Zorn wieder einmal auf mich ziehen, alle Kinder werden über Wochen gleichzeitig sauer auf mich sein,  haben, ich werde nicht in die Heimat fahren können, was ist da nur wieder in mich gefahren??? Hoffentlich war die Drohung schlimm genug!!!“
Zum Glück: Sie war es. Ich war nicht in der Klemme, meine Entscheidung revidieren zu müssen. Das war sehr lehrreich. Also, für mich. Mein Sohn, dem bereits bekannt ist, dass ich eine konsequente Erziehungsberechtigte, allgemein auch „obergemeine Fiesmama“ genannt, sein kann, hat daraus allerdings keine weitere Weisheit gezogen.

Geht das nicht ein wenig kollegialer? Freundlicher? Selbstverständlich! Nur man muss manchmal halt auch den Claim abstecken. Es geht nicht anders, ich kann nicht bei jedem Einkauf im Supermarkt vor der Alternative stehen, ich lege 20 Euro für irgendwelchen Schnickschnack hin oder die Kinder legen sich lang.
Und dann ist auch alles gut. Also, für uns selber gut. Die Kinder sind zwar noch immer unvorstellbar laut, kabbeln sich wegen Kleinigkeiten, sind mal müde, mal schlecht gelaunt, widerborstig, also kurz gesagt: in den Augen mancher garstige und unerzogene Rotzgören ohne Anstand und Benehmen, aber ganz ehrlich,  diejenigen, die dann herummeckern, sollen es erst einmal selbst besser machen, besonders jene meckernden kinderlosen ältlichen Damen und Herren. Oder auch unter Beweis stellen das sie es getan haben, besonders eben jene Personengruppe von denen allgemein bekannt ist, das ihre Kinder so gut wie nie zu Besuch kommen und jeglichen Kontakt mit den Eltern meiden oder diesen bereits vor Jahren schon abgebrochen haben.

Aber weiter zum nächsten Erziehungsklassiker.
Stichwort "Zuckerbrot & Peitsche":
Selbst wenn man – wie ich – praktisch nie fernsieht, liebe ich den Fernseher doch irgendwie sehr und würde ihn nicht missen wollen. Nicht das ich ihn zum überleben brauchen würde, aber wenn ich möchte kann ich ihn jederzeit für meine Zwecke nutzen.  Ich habe meinen Ältesten damals zweieinhalb Jahre mit allen Mitteln bearbeitet, um ihn schulisch wirklich gut zu motivieren.  Vorlesen. Selber Geschichten erfinden, erzählen und auch aufschreiben. Besuche in der Stadtbibliothek, um dort, in meinen Augen jedenfalls, sehr lustige Bücher auszuleihen (Kronprinz Louie: „Da steht aber Lesespaß drauf. Warum eigentlich? Ich habe ja überhaupt keinen Lesespaß!“) Basteln. Malen. Backen. Konstruieren. Quatschwörter erfinden und schreiben. Lustige und als pädagogisch wertvoll und eingestufte Lernspiele spielen (Louie: Wieso heißt es Lernspiel? Man spielt ja überhaupt nicht sondern rechnet oder liest dabei nur!) Ja, die Kinder lieben es wirklich! Man darf mir also zu meiner konsequenten Vorgehen gratulieren, nur wenige halten es so lange durch. Alternativ bliebe meinem Realitätsverlust, jeder andere hätte schon weitaus vorher begriffen, dass es sich hierbei um ein absolut sinnloses Unterfangen handelt und das man sich mit seinem Tun auf dem absoluten Holzweg befindet. Die neuesten Erziehungsratgeber empfahlen es damals jedoch, heute stehen sie voll davon und schreien danach die Kinder nach allen Regeln der Kunst zu fördern und fordern. Am besten man beginnt mit Englisch bereits im Kleinstkindalter, die musischen Talente fördert man am Besten schon im Mutterleib und beschallt das noch ungeborene Kind ab dem Tag wo die Schwangerschaft festgestellt wird mit klassischer Musik, nein, Schlagerhits aus den frühen 60igern und 70igern Jahren zählen nicht dazu. Auch die Volksmusik nicht, auch wenn es deren Name vermuten lässt, dass es sich bei diesem Genre um alte überliefte Musikstücke des Volksgutes handelt. Letzteres macht die Kinder höchstens schwerdepressiv, da nur überwiegend über Verlust, Herzschmerz und traurige Dinge gesungen wird. Was man denn so als singen bezeichnen möchte.
Auch Marschmusik fällt nicht in den Bereich Klassik. Gemeint sind eher Mozart, Chopin und Co. NEIN - nicht neu mit E-Gitarre in Szene gesetzt sondern ganz klassisch wie damals üblich.

Aber was hat das mit Schule zu tun? In den Augen meines Ältesten – überhaupt nichts! Nach so langen fruchtlosen Versuchen akzeptierte ich schließlich, dass wir so überhaupt nicht weiterkommen. Zeitgleich fing bei dem pädagogisch sehr ambitionierten Sender „Super RTL“ eine Staffel „Looney Tunes“ an. Die Koppelung von „Bugs Bunny und seine Freunde“ an schulisches Wohlverhalten war eine meiner pädagogischen Glanzleistungen überhaupt und katapultierte meinen Ältesten ganz nach vorne! Auch die anderen Kinder erfüllte nunmehr allergrößte Sorge, den Ansprüchen des artigen Bugs-Bunny-Sehers nicht zu genügen! Da hätte ich mir dieses ganze Motivations-Tobawabohu ja schenken können. Mann, warum nicht gleich so?! Dann ist doch alles gut, oder? Was steht dem Projekt „Durch Bugs Bunny zum Nobelpreis“ noch entgegen? Leider, wie bei allen supertollen Erziehungtipps, unsere Kinder. Denn Bugs Bunny und Co elektrisiert sie derart, dass sie über Stunden nicht mehr zu beruhigen sind und die ohnehin schon unerträglich späte Schlafenszeit sich noch weiter nach hinten verschiebt. Also, jeden Tag Bugs Bunny, das halte ich einfach nicht aus.

Darum halte ich mich schlicht an die GOLDENE und EWIGGÜLTIGE und PERFEKTE Erziehungsregel:
"Kinder muss man nicht erziehen - sie ahmen uns ja doch nur alles nach."
Kinder brauchen starke Vorbilder, denn sie ahmen von Geburt an das Verhalten ihrer Eltern bzw. nächsten Bezugspersonen nach. Und später zusätzlich noch das, was die Gesellschaft ihnen täglich zeigt und vorlebt.

Wir wurschteln uns halt weiter irgendwie durch, geben unser Bestes dabei und hoffen am Ende eine halbwegs gute Figur dabei gemacht zu haben. Dann besuchen sie uns später bestimmt einmal im Jahr im Pflegeheim, wenn wir viel Glück haben jedenfalls, denn das ist schließlich DAS was wir ihnen als Gesellschaft  täglich vorleben: Um die einem nahestehenden Menschen kümmert man sich nicht, sondern legt dafür Geld auf den Tisch und gibt sie in die, ihrem Alter entsprechenden, jeweiligen Institutionen ab, damit sich dort um sie gekümmert wird. Es ist erheblich wichtiger viel Geld zu verdienen und alle materiellen Bedürfnisse zu befriedigen, als sich wie ein soziales Wesen (der Mensch soll eines sein) um seine Artgenossen und Familienmitglieder zu kümmern.

Von den allerneuesten Erziehungsratgebern die gerade in Mode kommen, fange ich gar nicht erst an, denn es ist ein absoluter Rückschritt in die graue Anfangszeit der Bundesrepublik und 1960iger Jahre, wenn dieser Trend anhalten sollte.
Ich für meinen Teil bin jedenfalls froh, dass es hierzu eine Gegenbewegung gibt, dem Jesper Juul als Kopf voransteht und vermehrt in aller Munde ist. Meine Kinder wurden jedenfalls auf diese Weise erzogen, ehe Herr Juul in Deutschland überhaupt bekannt wurde und diesen Status erreichte. Seine Auffassung in puncto Erziehung teile ich darum auch von ganzem Herzen und hoffe das Kinder in Zukunft vermehrt als eigenständige Menschen mit eigenem Willen und vor allen Dingen als gleichwertige Menschen mit den gleichen Rechten angesehen werden. Die erste Frage die sich ein Erwachsener beim Anblick eines Kindes stellt sollte: "Was kann ich von ihm lernen" lauten und nicht "Was kann ich ihm beibringen!" Möge also die Gegenbewegung die Stärkere sein und sich am Ende durchsetzen.


Und um die Eingangsfrage zu beantworten:
Ja, wir haben eine Wahl, immer haben wir eine Wahl, wenn wir uns dazu entscheiden und durchringen können, eine haben zu wollen. Wir dürfen nur niemals aufgeben, unsere Ideale zu leben und Prioritäten im Leben richtig zu setzen, ganz egal was alle anderen um uns auch immer machen und sagen. Wir müssen unseren Weg gehen, egal ob es auf das Verständnis anderer trifft und sie es zu respektieren bereit sind.

Jeder entscheidet eigenverantwortlich für sich selbst, es gilt immer die 90:10 Regel und sie besagt ganz klar: 90% Eigenanteil und 10% Fremdanteil.
  

Mittwoch, 8. Juni 2016

Die verschiedenen Typen der Spielplatzeltern

Im Laufe meiner seit 19,5-Jahren andauernden Mutterschaft, sind mir die verschiedensten Typen von Müttern und Vätern in den unterschiedlichsten Lebenslagen über den Weg gelaufen. Sei es jetzt Krabbelgruppe, Spielplatz, Kindergarten, Schule, Einkaufsmarkt, Sportverein, Schwimmbad, Arzt, Krankenhaus,  ...und noch ganz viele andere Situationen...
Sie lassen sich grob in ca. 10 Gruppen einteilen. Ich habe mich für eine fiktive Spielplatzsituation entschieden um sie anschaulich darstellen zu können, sie können aber beliebig in jede andere Lebenssituation eingesetzt werden, denn ihr Verhalten verändert sich dadurch nicht signifikant. Aber hier nun meine Typologie:

Typus 1: "Hardrock Betty"
Ist ungefähr 20-21 Jahre, hat drei Kinder namens Schantal, Käwien und Schackelin, viele Tattoos, zwei bullig aussehende Hunde mit riesengroßen Zähnen  (genannt Mamas Herzi und Mamas Schatzi) dabei, denen sie die allergrößte Bewunderung und ihre ganze Aufmerksamkeit schenkt, während der 18 Monate alte Käwien angepflaumt wird, wenn er sich ne Beule holt und sich dabei gefälligst nicht so anstellen soll! Der töppelige Blödmann, der! Ist ja nicht zum aushalten mit dem kleinen Arschgesicht, ey.


Typus 2: "Mag-gern-diskutieren-Lilly":
Mädchen (ca 1 Jahr) nimmt Timmys  Sandkastenförmchen und will damit spielen. Die Mama entreißt es ihr kategorisch und befiehlt dem Mädchen mit "Nein, Leonie, das ist nicht deins! Nein - nein - nein!" das Förmchen sofort wieder hinzulegen. Timmy ist währenddessen auf einen meterhohen Hügel geklettert und rast  diesen mit Überschallgeschwindigkeit hinunter. Das Förmchen interessiert ihn  angesichts der neuen physikalischen Grenzerfahrung logischerweise null Bohne. Das gemaßregelte Mädchen heult laut. Mitspielen-Mum fängt an  herumzuschimpfen. "Also wirklich Leonie, das ist doch jetzt nicht dein Ernst. - Das ist nicht deins - Nein du brauchst jetzt gar nicht so zu weinen. Du bekommst es trotzdem nicht. - Das gehört dem anderen Kind!" zeigt dabei in die Richtung des gerade die Schallmauer durchbrechenden Timmys "Siehst du, dem kleinen Jungen dort gehört es!" Na das lass mal nicht den "kleinen Jungen" hören, denn sonst erzählt er dir etwas. Er ist NICHT KLEI-HEIN sondern fast drei! Diese Dame ergießt sich in immer weiteren Erklärungen während das Kind immer lauter schreit.
Ich könnte jetzt natürlich sagen: „Ach sie kann ruhig damit spielen. Kein Problem, mein Sohn leiht es ihr bestimmt gerne.“  aber dann wird sie sagen: „Vielen Dank, aber die Leonie  muss es einfach lernen das sie sich nicht einfach alles nehmen kann was sie möchte!“ GÄHN! Dann bin ich natürlich gezwungen zu sagen "Ja das stimmt schon, ich habe das mittlerweile 7 x durch!" Damit sie sich in ihrer Mutterrolle bestätigt fühlt und das Gefühl einer Supermutti bekommt. Mache ich es nicht, dann wird sie ihre Bemühungen, die kleine Leonie zu einem sozialen Wesen zu erziehen nur noch  mehr verstärken, was am Ende dazu führen wird, das die kleine Leonie dadurch erst ein ganz übler Sandkastenrabauke wird, das alle Kinder heimlich kneift und an den Haaren zieht. Im Kindergarten ist sie dann diese fiese kleine Zicke, die andere Kinder ausgrenzt und immer der Chef sein will. Was sie dann einsam macht und selbst isoliert oder aber zum Kindergarten-Gang Anführerin macht vor der sich alle fürchten. In der Grundschule steht sie dann entweder immer allein auf dem Schulhof oder tyrannisiert alle anderen Kinder. Alternativ wird sie zum braven angepassten Ja-Sager das sich als Teenager dann a) zu ritzen beginnt b) aus Frust isst c) sich mit 14 bereits die Kante gibt und Kettenraucherin ist.. Oder sie wird halt zur Streberin mit der niemand spielen wird oder das IT Girl mit der großen Klappe. das mit 14-15 schwanger wird und die Schule abbricht. Oder....aber lassen wir das... also sage ich:

"Genau"…. Ehrlich gesagt, spätestens im Kindergarten werden die anderen Kinder es ihrer Leonie rausprügeln, also kann sie sich die Mühe sparen, aber das ist, wie bereits erörtert, die falsche Antwort und birgt zahlreiche Gefahren, daher sag ich gar nichts und renne mit Timmy in Überschallgeschwindigkeit den Hügel herunter.

Typus 3: " Mir-bleibt-ja-nichts-anderes-übrig-sonst-schlagen-sie-sich-zu-Hause-die-Köpfe-ein-Mutti."
Ist zum äußersten gelangweilt, zugleich aber ein totaler Kontrollfreak und sammelt zwanghaft Glasscherben und Hundekot aus dem Sandkasten ein (also ich).


Typus 4: " Die-Alte-hat-PMS-und-hat-uns-alle-rausgeschmissen-Papa"
Er steht etwas unbeholfen herum, steht aber seinen Mann. Wichtig: Von uns verweichlichten Weibern unterscheidet er sich dadurch, dass er NIE etwas zu Essen oder Trinken für die Kinder dabei hat. Man könnte ja annehmen, dass man mal zwei Stunden ohne Proviant übersteht. Stimmt ja auch. Aber: Hat man nach ca. 1,5 Stunden Vorbereitung endlich alle Kinder abmarschbereit, ertönt ganz sicher, kaum das man vor der Tür steht, der Satz: „Mama, ich hab Durst.“ Kann man ja noch ignorieren. Aber die nächsten 1977 Wiederholungen kommen, so sicher wie das Amen in der Kirche. „Warum hast Du denn vorher nichts getrunken?“ Blabla. „Warum hast Du denn vorher nichts gegessen?“ Blabla, den man sich absolut schenken kann, ebenso Belehrungen, dass man das nächste Mal … etc. pp. usw. Denn das wird nichts, auch rein gar nichts daran ändern, dass weitere 524 Wiederholungen folgen. Da wir das nicht mehr hören können, ohne komplett auszuticken, schmeißen wir halt immer eine Pulle Wasser und das Obst, das sonst eh keiner will, in den Kinderwagen oder den Rucksack. So ist das!


Typus 5 (abwesend): "Zicken-Mum"
 Sie ist eher so drauf: Ich geh mit meiner komplett in rosa Tüll gekleideten Tochter nie auf den Spielplatz, weil ich nachmittags Termine beim Friseur/Nagelstudio/Fitness habe und außerdem nerven mich der viele Sand und die vielen Kinder.


Mich eigentlich auch, aber die Kinder nehmen mir sonst die Wohnung auseinander wenn sie nicht nach draußen kommen zudem kann der Körper nur durch Sonneneinstrahlung auf die Haut Vitamin D produzieren, dass benötigt wird das der Körper Calcium resorbiert  … wenn ich also möchte das sie harte Knochen bekommen und keine Depressionen durch einen zu niedrigen Vitamin D Wert entwickeln, woraus dann wiederum Angststörungen und Hyperaktivität resultieren können.....letztere können sich natürlich auch aus einem Bewegungsmangel entwickeln....aber lassen wir das .... sie müssen also aus guten und nachvollziehbaren Gründen nach draußen.
....und im Garten regt es die nervigen und kinderlosen Musiker-Nachbarn auf, so sehr dass sie mit einem voll aufgedrehten Megaphon neben den auf dem Trampolin springenden und im Garten Fußball spielenden Kinder stehen und ihnen durch das voll aufgedrehte Teil entweder "RUHE" oder "Seid endlich leise!" zurufen.  Aber egal....weiter geht es:

Typus 6: "Very Bad Mum (VBM) "
Also praktisch jede Mutter. Mama 1 ist froh, sich mal mit jemandem über 5 Jahren unterhalten zu können, ihr Kleinkind 1 klettert währenddessen unbemerkt auf die Schaukel, plumpst prompt herunter und fängt an zu weinen. Mama 2 (Mutter von Kleinkind 2): „Sehen Sie, die quatscht nur herum und passt nicht auf ihr Kind auf!“ Kleinkind 2 hat aber gut aufgepasst und rennt kurze Zeit darauf in einem unbeobachteten Moment zur leeren Schaukel, klettert flugs hinauf, plumpst sofort herunter und weint. Mama 1: „Sehen Sie, die quatscht nur herum und passt nicht auf ihr Kind auf!“


Ich glaube, ich gebe den Kindern auch auf dem Spielplatz zukünftig keine Schokolade mehr. Da sie nur einmal in der Woche (am Wochenende) oder am sogenannten Kinotag (DVD schauen und dabei auf dem Sofa lümmeln) welche bekommen, schieben sie sich diese natürlich gierig wie die Aasgeier hinein.
Die pikierten Blicke der VGM (Very Good Mums) sind eindeutig: "Diese armen und bedauernswerten Kinder erhalten niemals eine gesunde Zwischenmahlzeit, sondern werden immer mit gesundheitsschädigenden Substanzen gefüttert. Das ruiniert doch die ganze Gesundheit und später heißt es dann "Mein Kind hat ADHS" das es ja überhaupt nicht gibt sondern nur eine Erfindung der Pharmazie ist.  Die Armen tun mir echt total leid."

Typus 7:  "Die Heiler-und-Kummerkastentante-Mutti"
Sie weiß und kann alles, hat nach 2 Jahren Mutterschaft für alle Weh-Wehchen einen Rat. Kennt sich in allem aus und es gibt absolut nichts wozu sie ihren Senf nicht geben muss. Sie erstellt binnen 2-3 Minuten Blickdiagnosen und weiß das Heilmittel für die von ihr diagnostizierten Probleme, Störungen und Krankheiten jedes Kindes. Sie hat für jeden einen Ratschlag und gibt diese auch stets ungefragt. "Was machen Sie gegen die Hyperaktivität ihres Kindes?" "Ihrem asthmatischen Kind geben Sie am Besten SpasmoMucosolvan!" "Was machen sie gegen die Neurodermitis Ihres Kindes?" "Ich tippe darauf, dass Ihr Kind in den nächsten Tagen die Windpocken bekommt, solche schlechte Laune hatte meine 3 Jahre jüngere Schwester vorher auch, als sie mit 5 die Windpocken bekam!" ....ein "Nein du Knalltüte, mein Kind ist nur sauer weil ich ihm kein Eis kaufen will!" verkneife ich mir natürlich, sondern schaue kurz auf ihr schnotznasiges Kind dem die Kerzen unter der Nase hängen, die ihm mit Sand vermischt bereits über den Mund laufen. Ich denke mir nur meinen Teil  und enthalte mich jeglichen Kommentars. Ihr Blick ist geschult auf die Defizite anderer Kinder, durch ihre Selbstlosigkeit und ihrem Heiler/Helfersyndrom fehlt ihr aber meist die Zeit, die Schwierigkeiten und Defizite des eigenen Kindes zu bemerken welche da wären u.a. Schielen, sehr eingeschränkte Hand-Augen-Koordination, starker Husten, Ausschlag und Ekzeme, gestörtes Sozialverhalten, linkische Bewegung des Kindes, eingeschränkte Motorik, ...uvm... die jedem ohne ihren hochfunktionalen Blick auf den ersten Blick ins Auge fallen.


Typus 8 "Ich-kann-alles-Mutti"
Diese Mutter hat es in sich, sie ist quasi der Inbegriff eines perfekten Menschen. Sie kann Schweine schlachten, Fenster einsetzen, Holz hacken, Computer programmieren, einen Ölwechsel am Auto durchführen, Hausdächer decken, Möbel tischlern, Mode entwerfen, nähen, sticken, stricken, häkeln, Straßen pflastern oder asphaltieren,  kochen, backen, Obstbäume veredlen, Reifenwechsel, Fahrräder reparieren, ...kurz: Es gibt nichts was sie nicht kann ....mit Ausnahme vielleicht von das/die eigene/n Kind/er beaufsichtigen, erziehen und auf ihre Bedürfnisse eingehen. Sie ist die Lara Croft unter den Müttern.


Typus 9: "Ich-habe-den-ganzen-Mist-und-euch-nicht-nötig Mutti"
Sie tritt vorwiegend in Markenkleidung auf, ebenso ihr (erstes) Kind. Sie steht gelangweilt über den Dingen, ist in allem bewandert, kennt schon alles und braucht sich diesen ganzen Mist grundsätzlich nicht geben. Andere Kinder erscheinen ihr nicht als würdige und die geeigneten Spielkameraden für Kind zu sein. Sie grenzt sich ab und distanziert sich. Keinen Zweifel lässt sie daran, dass sie es gar nicht nötig hat eine Unterhaltung zu führen oder überhaupt auf dem Spielplatz sein zu müssen, denn: Alle anderen können weder ihr noch ihrem Kind das Wasser egal ob auf materieller oder geistiger Ebene reichen und sind absolut unter dem Niveau der beiden, dass gleiche gilt für den Spielplatz und die Spielgeräte: zu Hause im eigenen Garten stehen hat sie erheblich besseres und qualitativ höherwertiges stehen. Sie wirkt auf andere durch ihr Gebaren arrogant, vermessen, selbstverliebt und eingebildet. Also niemand, mit dem sich die anderen 9 Typen überhaupt einlassen würden. 

  
And last, but not least

Typus 10 "The  Russian Mum"
Rennt aus unerklärlichen Gründen in einem kompletten Ganzkörper-Plüschhasenkostüm herum und hat heftig Eau de Vodka aufgetragen. Schlägt sich bei einem Stunt auf der Schaukel die Nase blutig, ist aber ansonsten, ebenso wie ihre artigen Kinder, sehr pflegeleicht.


Mein Mann, der mit den größeren Kindern an der Schaukel unterwegs  war, unterhielt sich einst recht lang mit ihr. Ich fragte ihn neugierig, was es mit dem Hasenkostüm auf sich habe. Er fragte leicht irritiert: „Hasenkostüm? Was denn für ein Hasenkostüm?..." schaut noch einmal hin  "Ach so ja, kann sein. Keine Ahnung, hab ich nicht gefragt.“

Deswegen, Mädels, keine Sorge, wenn der Geliebte nicht bemerkt, dass Ihr beim Friseur wart oder eine neue Bluse anhabt….

Dienstag, 7. Juni 2016

Ist ADHS eine Modeerkrankung?

Bereits bei den alten Griechen findet man Hinweise auf Kinder, die „in ihrem Temperament zu viel des Elements Feuer“ hatten, Diesen empfahl der griechische Arzt Gerlen, Opium zur Beruhigung anzuwenden. Aber auch bei Persönlichkeiten aus der Bibel finden sich Hinweise auf emotional impulsives Verhalten. Jesus nannte seinen Lieblingsjünger und dessen Bruder "Donnersöhne", auch das Verhalten von Petrus, der emotional impulsiv Jesus „in den Tod folgen“ will, sich der Tragweite seiner Aussage nicht bewusst ist, und sich schließlich selbst verleugnet, weist darauf hin.


1775 Der deutsche Arzt Melchior Weikard beschreibt in seinem Buch „Der philosophische Arzt“ die klassischen Symptome der Aufmerksamkeitsstörung (Mangel der Aufmerksamkeit, Attentio Volubilis) und widmet dieser ein ganzes Kapitel.

1798 beschreibt Sir Alexander Crichton „die Unfähigkeit sich konstant mit einem Objekt zu befassen“ in seinem Werk. Er vermutete eine „krankhafte Sensibilität der Nerven“. Diese sei vielleicht angeborenen oder "Begleiteffekt einer Krankheit". Er beobachtete, dass es Menschen mit einem Zustand der Unruhe gibt, die im Zimmer auf und ab gehen, Dinge hin und her schieben, aufgeregt sind, etc.. Mit seinen Beobachtungen der Unruhe und seinen Überlegungen, wie diese zu beeinflussen sei, war Crichton seiner Zeit voraus

1808 beschrieb Dr. Haslam, Leibarzt Kaiser Napoleon I. ein „moralisch krankes Kind, Sklave seiner Leidenschaften, Schrecken der Schule, Qual der Familie, Plage der Umgebung.“

1844 entstand in Frankfurt das Buch "Der Struwwelpeter" von dem damals praktischen Arzt und Geburtshelfer und späteren Nervenarzt Heinrich Hoffmann Dieser Frankfurter Arzt beschrieb aus eigener Erfahrung typische Erscheinungsbilder hyperkinetische Kinder: den Zappelphilipp, den fliegenden Robert, Hans guck in die Luft und den bösen Friedrich.

1845 vermutet der Berliner Psychiater Wilhelm Griesinger erstmals, dass das Gehirn als ein „psychisches Organ“ Funktionsstörungen haben könnte und dies als Ursache für „psychische Krankheiten“ in Frage komme. Er führte aus, dass Kinder, die „keinen Augenblick Ruhe halten . . . und gar keine Aufmerksamkeit zeigen“, eine „nervöse Konstitution“ haben und "unter einer gestörten Reaktion des Zentralorgans auf die einwirkenden Reize" leiden würden.

1859 schreibt der Breslauer Heinrich Neumann, ein Gegner der Gehirnpathologie von Wilhelm Griesinger, „ Solche Kinder haben etwas Ruheloses, sie sind in ewiger Bewegung, höchst flüchtig in ihren Neigungen, unstet in ihren Bewegungen, schwer zum Sitzen zu bringen, langsam in der Erlernung des Positiven, aber oft blendend durch rasche und dreiste Antworten.“ Eitle Mütter würden diesen Zustand als geistreich, besorgte Mütter als aufgeregt bezeichnen. Er führt diese Unruhe der Kinder auf eine vorschnelle Entwicklung zurück und bezeichnet sie als „Hypermetamorphose“


1867 rechnete der englische Kinderpsychiater Henry Maudsley die unruhigen Kinder zur Krankheitsgruppe des „affektiven oder moralischen Irreseins“, .

1869 brachte der amerikanische Neurologe George Miller Beard die Bezeichnung „Neurasthenie“ für „Zustände reizbarer Schwäche“ ins Spiel. Wegen der Zunahme von Hektik und Hast im Zuge der industriellen Entwicklung. Beard wollte damit eine „predominantly American societal illness“ beschreiben; sie sei häufiger als alle anderen Nervenkrankheiten in den USA und beruhe auf fünf bedrohlich gewordenen Außenfaktoren: Dampfkraft, Tagespresse, Telegraf, Wissenschaften und der „mental activity of women“ (geistigen Aktivitäten der Frauen). Später sprach er von einer spezifischen „American nervousness“; sein Begriff der Neurasthenie fand in der Folge weltweit Verbreitung.


1878 vermutete der deutsche Kinderpsychiater Hermann Emminghaus (1845–1904) „Vererbung und Degeneration“



1881 beschrieb Scherpf "das impulsive Irresein als häufigste kindliche Seelenstörung"

 

1890 entwickelte der Leipziger Psychologe Ludwig Strümpell im System einer „Pädagogischen Pathologie oder die Lehre von den Fehlern der Kinder“. Er beschrieb Unruhe und Unaufmerksamkeit als „konstitutionelle Charakterfehler“ und als "moral defect".

In etwa zur selben Zeit beschreibt der amerikanische Psychologe William James in seinem Werk „The principles of Psychology“ Menschen die besonders Probleme mit der Impulskontrolle hatten. Er erkannte bei Betroffenen, dass sie zu wenig über ihre Handlungen und den anschließend Konsequenzen nachdachten und Schwierigkeiten mit der Selbstreflexion hatten. Allerdings gelante James nicht nur zu der Ansicht, dass das beschriebene Verhalten nur negative Folgen für die Betroffenen hatte. Er war vielmehr davon überzeugt, dass viele Revolutionäre und bekannte Persönlichkeiten der Geschichte diesem Persönlichkeitstyp angehörten und erachtete darum die Impulsivität der Betroffenen als Fähigkeit zum schnellen Reagieren und Schlagfertigkeit.



1902 schilderte der Londoner Pädiater Georg Frederick Still detailliert die Symptome von ADHS anhand der Studien an 20 Kindern mit „Defects in Moral Control“. Diese Beschreibungen der Symptome waren den heutigen Diagnosekriterien sehr ähnlich. Zu ihnen gehörten extreme Unruhe, ständige Bewegung, mangelnde Fähigkeit konzentriert und ausdauernd bei einer Sache zu bleiben, Leidenschaftlichkeit und mangelnde Willenskontrolle. Diese Kinder würden trotz "intakten Intellekts" in der Schule versagen. Er beobachtete, dass mehr Jungen als Mädchen betroffen seien. Diese Kinder seien durch Bestrafung nicht zu kontrollieren, die Prognose einer Heilung sei schlecht. Vermutlich resultiere dieser "defect of moral control" sowohl aus Vererbung als auch aus neurologischen Ursachen, es sei also (auch) ein medizinisches Problem und diese Kinder seien nicht einfach nur „unmoralisch“, „dumm“ oder „unerzogen“.


1908 berichtet der Berliner Pädiater Adalbert Czerny in seinen, über Jahrzehnte hinweg immer wieder neuaufgelegten Vorlesungen, der „Arzt als Erzieher des Kindes“ darüber das Charakter von Erziehung und Gesundheitszustand bestimmt wird. Ein im engsten Sinne normales Kind sei erstens gut ernährt und verfüge über ein gut trainiertes Nervensystem. Als Zwischenstufen zwischen normalen und abnormen Kind beschreibt Czerny eine Gruppe von Kindern mit folgenden Merkmalen „Großer Bewegungsdrang, mangelnde Ausdauer im Spiel und bei jeder Beschäftigung, Unfolgsamkeit und mangelhafte Konzentrationsfähigkeit der Aufmerksamkeit beim Unterricht.“ Für ihn fallen diese Kinder in die Gruppe der „schwer erziehbaren Kinder“ und gehörten zur „neuropathischen Konstitution.
Aus der Psychiatrie kommt etwa zur gleichen Zeit der Begriff der „Psychopathie“; auch hier werden die unruhigen Kinder auf der Grenze zwischen dem Normalen und Krankhaften eingeordnet. Diskutiert wird eine ererbte oder intrauterin erworbene Veranlagung, die zu „angeborener Minderwertigkeit“ führe – auch dies ist ein Stigma, mit dem solche Kinder belastet wurden



1920er Jahre, als vermehrt Kinder an Enzephalitis erkrankten, wurden ADHS-Symptome dieser Erkrankung zugeordnet und es entstand der Begriff "Post-encephalitische Verhaltensstörung"

 

1926 beschreibt August Homburger, ein Wegbereiter der modernen Kinderpsychiatrie, Kinder mit erhöhter Erregbarkeit, starker Ablenkbarkeit, ruhelosem Abwechslungsbedürfnis und eine deutlich verminderte Konzentrationsfähigkeit. Da in den konkreten Einzelfällen Reizüberflutung und falsche Erziehungsmethoden die Realität des Geschehens bestimmen, müsse der Arzt vor allem „ein erziehender Berater der Eltern sein“. Ähnlich sehen dies zur gleichen Zeit auch Kinderärzte, wie der Karlsruher Pädiater Franz Lust, der die Behandlung solcher Kinder in jedem Lebensalter auch für den Arzt zu einer eher pädagogischen Aufgabe macht.


1932 veröffentlichten Kramer und Pollnow in der „Monatsschrift für Psychiatrie und Neurologie“ (Bd. 82 S. 1-40) einen umfangreichen Artikel „Über eine hyperkinetische Erkrankung im Kindesalter“. Bereits zwei Jahre zuvor hatten die Autoren im „Zentralblatt für die gesamte Neurologie und Psychiatrie“ (Bd. 57, S.844–845) erstmals über „Hyperkinetische Zustandsbilder im Kindesalter“ berichtet. Der Artikel machte die Namen seiner Autoren für Jahrzehnte zum Inbegriff der Hyperkinese. Das in Deutschland für mehrere Dekaden als „Kramer-Pollnow-Syndrom“ bekannte Störungsbild beschrieben die Ärzte mit zahlreichen Beispielen und großer Genauigkeit der Beobachtung. Vor diesem Hintergrund wiesen die Autoren bereits vor über 80 Jahren auf die sozialen Folgen der Symptomatik hin. Hyperaktivität, Unaufmerksamkeit und Impulsivität waren in den Augen von Kramer und Pollnow mehr als nur ein individueller Ausdruck von Temperament oder kindlicher Befindlichkeit – sie waren Symptome einer basalen Einschränkung der Anpassungsfähigkeit an die Regeln des Zusammenlebens, sie waren eine systematische Bedingung des Scheiterns des gestörten Einzelnen in der Gemeinschaft.

1933 werden aufgrund der Diskriminierung, Deportation und Emigration führender Kliniker und Wissenschaftler in Österreich und Deutschland differenzierte Diskussionen unterbrochen. Erheblich anders ausgerichtete Fachvertreter nehmen hier jetzt das Problem in die Hand.


1937 berichtete Dr Charles Bradley über die hilfreiche Wirkung der Stimulanzien auf verhaltensauffällige Kinder. In den Jahren nach der ersten Beschreibung Bradleys befassten sich anfangs Kinderärzte und Kinderpsychiater, später Kinderpsychologen mit diesem Krankheitsbild. Es fand erst in den USA, später über Neuseeland, Holland, England und Skandinavien Beachtung. In Deutschland erschienen die ersten Berichte Mitte der 60er Jahre. Dann allerdings zahlreiche Publikationen; allein im deutschsprachigem Raum 1965 bis 1985 über 250 Arbeiten, die sich ausschließlich mit diesem Thema beschäftigen von medizinischer, psychologischer und pädagogischer Seite.

 

1939 erklärt der Wiener Ordinarius für Kinderheilkunde Franz Hamburger die Unruhe der Kinder schlicht zu den neurotischen Unarten, gegen die man „einschreiten“ müsse; Therapieziel sei die Erlangung eines „freudigen Gehorsams“ beim Kind. Man könne den Eltern darum nicht genug empfehlen, „ihre Kinder vom elften Jahre an in die Hitler-Jugend zu geben. Die meisten Kinder verlieren ihre Neurosen, wenn sie den Betrieb in der HJ mitmachen.“


1954 kam Ritalin zum ersten Mal in Deutschland auf den Markt.


1957 vermutete Maurice Laufer die Ursache in einem Defizit des Zentralnervensystems. Seiner Theorie zufolge filtern die thalamitischen Gehirnregionen zu wenig Stimulation heraus, so dass das Gehirn von Eindrücken überschwemmt wird. Betroffenen Kindern wurden spezielle, reiz- und ablenkungsarme Klassenzimmer zur Verfügung gestellt.

1960-1970iger Jahre wurde überwiegend angenommen, dass es sich bei ADHS um eine "leichte frühkindliche Hirnschädigung" handle, es entstanden Begriffe wie "Minimal cerebral Dysfunction" (MCD) Psychoorganisches Syndrom (POS) vor allem im Schweizer Raum, in Deutschland wurde der Begriff MCD (Minimale cerebrale Dysfunktion) übernommen.

Diese Bezeichnung erwies sich als problematisch, da erkannt wurde, dass viele Kinder ohne Anzeichen von Hirnschädigungen auch Symptome von ADHS zeigten, der Begriff "Brain Damage" schien also nicht angemessen zu sein. In den 1970er Jahren wurden gleichzeitig mehrere Symptome erkannt, die zusammen mit Hyperaktivität auftraten. Dazu gehörten Impulsivität, Mangel an Konzentration, Tagträumen und die fehlende Fokussierung auf eine Aufgabe


1968 wurde die "Hyperkinetische Reaktion der Kindheit" in den DSM-II (1968) aufgenommen, obwohl sich die Fachleute dessen bewusst waren, dass viele der diagnostizierten Kinder Aufmerksamkeitsstörungen ohne irgendwelche Anzeichen von Hyperaktivität hatten


1978 wird in der ICD-9 das hyperkinetische Syndrom des Kindesalters zum ersten Mal als eigenständiges Krankheitsbild benannt.

1980 führte das DSM-III den Begriff "ADD" (Attention-Deficit Disorder) mit oder ohne Hyperaktivität ein. Die Terminologie ADD wurde mit der Revision im Jahr 1987 auf ADHS im DSM-III-R geändert. Erstmalig wird auch das Persistieren der Symptome bis ins Erwachsenenalter als „ADD Residual Type“ erfasst


1984 beschrieb Viriginia Douglas ein Problem der Selbstregulation mit zu wenig Daueraufmerksamkeit und Anstrengungsbereitschaft und schuf den Namen "Attention Deficit Disorder", dieser wurde im Jahre 1980 von der American Psychiatric Association festgelegt und


1985 veröffentlichte der Kinderarzt Dr. Walter Eichlseder in München das erste deutschsprachige Buch zu ADHS: „Unkonzentriert? Hilfen für Hyperaktive Kinder und Eltern“.



1987 wird ADD in "Attention Deficit Disorder Hyperactive" erweitert. Die American Psychiatric Association postulierte, dass ADHS eine medizinische Diagnose sei und kein rein psychisches Problem, dass aber ADHS zu Verhaltensproblemen führen könne.



1992 kann die Diagnose hyperkinetisches Syndrom im ICD-10 auch im Erwachsenenalter gestellt werden. „Die Kriterien sind dieselben, jedoch müssen Aufmerksamkeit und Aktivität anhand entwicklungsmäßig angemessener Normen beurteilt werden.“


1994 wurde im DSM-IV erstmals ADHS-Subtypen vorgestellt. In Deutschland sind weiterhin die wenig realitätsnahen Kriterien des ICD-X zur Diagnose von ADHS gültig.

1996 nannte R. Barkley ADHS eine: „Entwicklungsstörung der Selbstkontrolle“.


1997/99 wurde im Auftrag des Kultusministeriums München ein Film und eine Handreichung für Lehrer entwickelt: „Aufmerksamkeitsgestörte, hyperaktive Kinder im Unterricht“.

1998 veröffentlichten Droll, Krause/Krause und Trott die erste Leitlinie für Erwachsene: „ADHD im Erwachsenenalter“


2002 wurde das „Eckpunktepapier des BMGS“ erarbeitet und


2003 wurde ADHS bei Erwachsenen in Deutschland offiziell anerkannt.


2005 wurde die Stellungnahme des wissenschaftlichen Beirates der Bundesärztekammer zu ADHS veröffentlicht.


2011 erhielt Medikinet adult, nachdem Metylphenidat lange Zeit off-label verordnet wurde, die Zulassung in Deutschland zur Behandlung Erwachsener Menschen mit ADHS. Erst in den 1990er Jahren war zunehmend ein Bewusstsein dafür gewachsen, dass ADHS keine Störung des Kindesalters ist, sondern ein Leben lang fortbesteht, auch wenn die "Hyperaktivität", also die deutliche äußere motorische Unruhe, in der Pubertät zurück ginge. Im Kern bleibt die ADHS-typische Problematik, wie Dr. Russel Barkley sie beschreibt, jedoch bestehen. So hat sich Methylphenidat auch im Erwachsenenalter als Medikament der Wahl etabliert. Die Diagnostik bei Erwachsenen bewies sich aufgrund hinzugekommener komorbiden Störungen häufig als schwierig, da die eigentliche Symptomatik des ADHS hierdurch maskiert werden.


2013 Im DSM-V wird ADHS als ein "Muster von Verhaltensstörungen und kognitiven Funktionsstörungen" beschrieben, außerdem werden die verschiedenen Erscheinungsformen von ADHS sowie das Fortbestehen der Symptomatik im Erwachsenenalter mit in die Diagnose einbezogen.

Mittlerweile ist die Anzahl der Veröffentlichungen, aus allen Teilen der Welt, so groß, dass eine Literaturrecherche (nur bei namhaften wissenschaftlichen Blättern) jeden Monat ca. 200-300 Arbeiten erfasst.
Unter ganz verschiedenen Namen wurden bisher von verschiedenen Autoren Kinder und Jugendliche mit sehr ähnlichen Problemen beschrieben. Abzugrenzende Begriffe:

Kramer-Pollnow-Syndrom: in Deutschland über mehrere Dekaden bekanntes Störungsbild.

MCD: Minimale cerebrale Dysfunktion war lange Zeit eine typische Bezeichnung

MBD: Minimal Brain Dysfunction/Damage

POS: Psycho - organisches Syndrom in der Schweiz üblich

HKS: Hyperkinetisches Syndrom in ICD 9

ADDS: Attention Defizit Disorder Syndrom mit / ohne Hyperaktivität und Sozialstörungen war in den USA lange Zeit üblich


Benutzt wurden von verschiedenen Fach- und Berufsgruppen:

Hirnfunktionsstörung, Partielle Hirnreifungsstörung, Hirnorganisches Psychosyndrom, Teilleistungsstörung, Minimale cerebrale Bewegungsstörung,Hyperaktive Kinder, Ungeschickte Kinder, Aufmerksamkeitsgestörte Kinder, Kinder mit besonderem Förderbedarf, Schwerkraftverunsicherte Kinder, schwererziehbare Kinder, Unerzogene Kinder, sozialgeschädigte Kinder, ...
Lediglich Teilaspekte der Störung umfassen diese Namen und sind nicht identisch, aber in großen Bereichen überschneiden sie sich. Heute gilt ADHS (Aufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivitäts-Störung) in Deutschland und ADHD (Attention-Defizit-Hyperactivity-Disorder) im englischsprachigen Raum als die korrekte Bezeichnung (DSM IV/V)

Gute 180 Jahre vor Einführung von Ritalin auf dem deutschen Markt wird über die typischen Symptome der ADHS berichtet, referiert, geforscht, dieses ganz besonders in Deutschland. Und wie oben bereits angemerkt, wussten schon die Mediziner der alten Griechen und auch der Römer darüber etwas zu erzählen und versuchten bereits zu helfen und behandeln. Mit Sicherheit sind diese Forschungen und Berichte über den Vorwurf erhaben „Handlanger der Pharmakonzerne“ zu sein.

Mittlerweile schreiben wir das Jahr 2016, seit WeikardsBeschreibungen im Jahre 1775 sind genau 241 Jahre vergangen. Bei ADHS handelt es sich, unter Berücksichtigung der historischen Fakten, also mit Sicherheit nicht um eine Modeerscheinung unserer Zeit, sondern um die Erkenntnis eines Problems, das erst sehr spät in unser gesellschaftliches Bewusstsein vorgedrungen ist.


In früheren Zeiten, stand als erstes im Leben eines Kindes das Überleben selbst im Vordergrund, aus diesem Grund waren derartige Probleme also erst einmal nicht so wichtig und absolut nachrangig. Entweder fielen die Schwierigkeiten z.B. in großen Familien nicht so sehr ins Gewicht oder die Kinder galten eben als schwarze Schafe der Familie, ohne dass man die Ursachen ihres Versagens hinterfragt hätte. Nicht außer acht gelassen werden darf, die Veränderung der gesellschaftlichen Struktur, die Errungenschaften der Wissenschaft und natürlich: Veränderungen im Gesundheitssystems, welches in Deutschland Ende der 1960iger Jahre Psychotherapie nicht als Kassenleistung vorsah und von den betroffenen Personen allein getragen werden mussten. Hinzu kommt das hierzulande körperliche Züchtigung und seelische Grausamkeiten über Jahrzehnte hinweg als natürliches Erziehungsmittel galten. „Wer sein Kind liebt, züchtigt ist“ war eine Maxime die auch in den späten 1990iger Jahren nach wie vor Gültigkeit in Deutschland besaß und auch heute noch in weiten Teilen der Bevölkerung besitzt. Des weiteren hat sich die gesellschaftliche Struktur in den vergangenen 30 Jahren erheblich verändert, sie ist durchlässiger und homogener geworden. Die Herkunft eines Menschen entscheidet nicht mehr zwingend darüber, was eines Tages aus ihm wird. In der heutigen Zeit aber, eine Zeit der gezielten Förderung der wenigen Kinder, einer Geburtenrate von 1,4 Kinder pro Familie und natürlich der bewussten Elternschaft, ist diese Störung aber tatsächlich erst richtig ins Bewusstsein der Gesellschaft gerückt worden.Wenn man sich als Eltern oder Lehrer in hohem Maß um die optimale Entwicklung eines Kindes bemüht, ist es verständlicherweise recht frustrierend, wenn das Kind den in ihn gesetzten Erwartungen in seinen Möglichkeiten und seinem eigentlichem geistigen Potenzial nicht gerecht wird.

Es erscheinen immer wieder Artikel die alle wissenschaftlichen Erkenntnisse, Untersuchungen und die lange Historie ignorieren wie auch leugnen. Sehr oft wird mit Propagandaparolen aufgetrumpft, hier ist dann die Rede von: „Pillen statt Erziehung“, eine „Pille gegen eine erfundene Krankheit“, es wären„90 % der ADHS-Diagnosen falsch“, ADHS ist eine „fabrizierte Erkrankung“ Metylphenidat wäre ein „Goldesel für die Pharmaindustrie“ und „macht psychisch abhängig“, weil „wenn Paul die Tablette vergisst, kommt er von der dritten Stunde an nicht mehr mit.“ Wahrscheinlich macht Methylphendat genauso wie Insulin psychisch abhängig, denn ohne sein Insulin trübt der Diabetiker zunehmend ein, er kommt dann auch nicht mehr mit. Man schreckt auch nicht davor zurück tote Menschen wie Leon Eisenberg für diese Kampagnen zu mißbrauchen, dabei dann geschichtliche Tatsachen und Fakten kurzerhand zu verdrehen. Leon Eisenberg ist weder der Erfinder noch der Vater von ADHS, er setzte sich lediglich wie viele andere Menschen jener Zeit dafür ein, dass dieses Störungsbild im DSM aufgenommen und damit offizielle Krankheit anerkannt wird. Nur offizielle Krankheiten dürfen und werden therapiert, es verpflichtet zudem Krankenversicherungen diese Kosten zu übernehmen. Bei nicht anerkannten Störungen und Krankheiten findet keinerlei Kostenübernahme seitens der Versicherer statt und der Betroffene muss selbst für diese aufkommen. Was eine erhebliche Diskriminierung und Benachteiligung der "weniger verdienenden" Bevölkerung darstellt. Nur wenige könnten sich diese Kosten leisten und der Großteil würde darauf verzichten. Dieses hätte verheerende gesellschaftliche Folgen. Er hat des weiteren nicht auf dem Totenbett gestanden, dass es ADHS nicht geben würde, sondern das es sich dabei um eine unglückliche Bezeichnung handelnt würde: ADHS sei kein Defizit der Aufmerksamkeit sondern ein zu viel der Aufmerksamkeit. Auch nannte er es lediglich „ein Paradebeispiel für fabrizierte Krankheiten“ und meinte damit jene Diagnosen die zu schnell getroffen würden, ohne dass das soziale Umfeld des Kindes einzubeziehen. Soziale Elemente, Ernährung, mögliche traumatische Erlebnisse, Erziehungsstil und Lebensgestaltung der Eltern würden dabei keine Beachtung finden und oft nicht berücksichtigt. Logischerweise stellt Methylphenidat keine Hilfe für sozialgeschädigte oder traumatisierte Kinder oder gar kulturell bedingten Auffälligkeiten dar.

Viele diese Kampagnen sind ein herber Schlag ins Gesicht der Eltern, die dringend Hilfe für ihre von dieser Störung und darunter leidenden Kinder brauchen und suchen. Aber ganz besonders für die Kinder selbst, die aufgrund der Störung unter sozialer Ausgrenzung, täglicher Abwertungserfahrungen durch Mitmenschen, als dumm und asozial abgestempelt werden, ihres Lebens überdrüssig werden, ...etc. etc.pp. Gleichzeitig ist es auch für diejenigen, die sich um Hilfen und Perspektiven bemühen und einsetzen.

Es handelt sich bei diesen Artikeln und Kampagnen zudem selten um eine konstruktive Kritik, denn außer Verunglimpfungen von Eltern, Kindern und Erziehern bieten sie keinerlei Lösungen an oder tragen auch nur im Ansatz zu einer Lösung, der vielfältigen Schwierigkeiten und Probleme unter die diese Kinder zu leiden haben, bei. Außer acht gelassen werden bei diesen Diskussionen zudem der oftmals jahrelange große Leidensdruck der Kinder, welcher durch die Gesellschaft, einem starren und einseitigem Schulsystem, erhöhtem Leistungsdruck und ein erhöhtes Ruhebedürfnis erwachsener Menschen resultieren.
Der Griff zu Methylphenidat stellt in den meisten Fällen, immer noch das Mittel der letzten Wahl bzw. letzten Instanz dar. Es kommt erst dann zum Einsatz, wenn alle anderen Möglichkeiten wie Ergotherapie, Verhaltenstherapie, Ernährungsumstellung, Umstrukturierung des Alltags, etc. etc.pp ausgeschöpft und keinerlei Wirkung oder Verbesserung zeigen. Verantwortungsvolle Erziehungsberechtigte und gewissenhafte Fachärzte scheuen  überwiegend den sofortigen Griff nach Methylphenidat. Zudem erhält nicht jedes Kind mit der Diagnose ADS/ADHS automatisch den Wirkstoff Methylphenidat.

Des weiteren handelt sich bei den Präperaten mit diesem Wirkstoff auch nicht um eine sog. „Intelligenzhebepille“. Entweder ist Intelligenz vorhanden oder sie ist es nicht, eine Tablette wie Ritalin, Medikinet, Concerta, um nur drei der Präperate zu nennen, ändert daran auch nichts. Das einzige was sie bewirkt ist lediglich die Tatsache, dass die Intelligenz in vollem Umfang wie sie vorhanden ist genutzt werden kann. Es ist auch keine "Abschaltpille", "Liebmachpille" "Ruhigstellpille" oder oder oder....die Begrifflichkeiten der ADHS-Verleugner sind mir leider nicht alle zur Gänze geläufig.

Man kann lediglich sagen:
In einem Berg in dem kein Gold ist, findet auch ein passionierter Goldgräber, selbst mit den tollsten und modernsten Gerätschaften und egal wie tief er auch bohren mag, keines. In Menschen mit ADS/ADHS liegen aber zahlreiche verborgene Schätze und es ist in ihnen oftmals erheblich mehr pures Gold zu finden, als in nicht davon betroffenen Menschen. Es wäre also eine wahrhafte Schande und Sünde sie nicht zu Tage zu fördern und weiterhin im Verborgenen verkümmern zu lassen. Jeder hat ein natürliches Recht darauf Hilfe zu erhalten aber auch glänzen und strahlen zu dürfen, egal in welchem Bereich auch immer. Einem Menschen mit amputierten Bein würde mit Sicherheit auch niemand seine Prothese wegnehmen oder einem Diabetiker sein Insulin oder einem Herzkranken sein Herzmittel.